Tischtennisclub aus der Landeshauptstadt

Im Mai dieses Jahres tauchte bei uns im Tischtennis-Training ein junger Mann aus Nigeria auf. Sein Name lautet Oluwaseun „Seun“ Adeleye. (24 Jahre alt aus der Hauptstadt Lagos). Er ist im April dieses Jahres nach Deutschland eingereist und hatte Asyl beantragt. Er lebte nach der Erstaufnahme in Gießen im Flüchtlingsheim in Wiesbaden-Erbenheim. Wie wir schnell feststellten spielte er in Nigeria bereits seit vielen Jahren aktiv Tischtennis. Spielniveau in etwa Bezirksoberliga/Verbandsliga in Deutschland.

In kurzer Zeit fand er bei uns in englischer Sprache schnell Anschluss. Dabei kamen wir dann auch auf sein Asylverfahren zu sprechen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Anhörungstermin beim Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF). Aus den Unterlagen und seinen Erzählungen kam heraus, dass er in Nigeria ein Tischtennis-Turnier gewonnen hatte, bei dem der Hauptpreis eines wohlhabenden Sponsors eine Reise nach Europa war. Ihm wurde versprochen, dass er dort einen Job erhält und leben kann (er kommt aus einfachen Verhältnissen). Der Sponsor besorgte ihm ein Visum und buchte Flug und Hotels für ihn. Zusammen mit dem Sponsor und zwei seiner „Mitarbeiter“ flog er zunächst nach Rom (Italien). Dort hatte der wohlhabende Herr angeblich einige Geschäftstermine PuTTY SSH with key authentication , um dann nach 2-3 Tagen weiter nach Düsseldorf zu fliegen. In Düsseldorf stellte sich dann aber heraus, dass der junge Mann künftig als Drogenkurier tätig sein soll. Dies verweigerte er und wurde daraufhin von den anderen beiden Männern „zusammengeschlagen“. In der darauffolgenden Nacht gelang ihm durch ein offenes Fenster die Flucht. Via Internet fand er eine Anlaufstelle zur Beantragung von Asyl. Von dort aus ging es dann erst nach Gießen und schließlich nach Wiesbaden. Von ihm selbst erfuhren wir, dass er nicht nach Nigeria zurück kann und will. Der wohlhabende Sponsor scheint recht einflussreich in seinem Heimatland zu sein. Er hat sogar Todesangst.


In der Zeit bei uns integrierte er sich recht schnell. Dies ging soweit, dass er nach kurzer Zeit bereits zweimal pro Woche im Nachwuchstraining als Trainingspartner und Co-Trainer mitwirkte (als „Dank“ besorgten wir ihm z.B. ein Fahrrad und Kleidung). Bereits im Juli erhielt er allerdings einen sogenannten „Dublin-Bescheid“ mit der Androhung der Abschiebung nach Italien in den nächsten sechs Monaten. Da er in Italien zuerst EU-Boden berührt hatte, ist Italien laut dem „Abkommen Dublin III“ offiziell für sein Asylverfahren zuständig. Wir führten mehrere Gespräche mit verschiedenen Asyl-Anlaufstellen (z.B. Caritas). Schließlich fanden wir in kurzer Zeit einen Fachanwalt für Migrationsrecht, der seinen Fall übernahm und innerhalb der kurzen Frist von einer Woche Klage beim Verwaltungsgericht Wiesbaden gegen den Bescheid einreichte. Solche Klagen haben allerdings keine aufschiebende Wirkung. Über die Klage wurde bis zum heutigen Tage nicht entschieden.

In der Zwischenzeit konnten wir zunehmend feststellen, dass es sich um einen zuverlässigen, intelligenten und engagierten jungen Mann handelt, der sich in Deutschland integrieren will. Nach der Sommerpause im August unterstützte er nicht nur im Training, sondern betreute auch einige Male den älteren englischsprachigen Nachwuchs. Er fuhr sogar zum Betreuen eigenständig mit dem Fahrrad zu einigen Spielen. Auch spielte er im September in einigen Spielen aktiv in unserer 2.Herrenmannschaft. Dazu erfuhren wir von einem der Sozialarbeiter in seiner Flüchtlingsunterkunft, dass er sich für 1 Euro pro Stunde um die Außenanlage des Geländes kümmerte und nach mehr Arbeit immer wieder fragte. Der Sozialarbeiter bezeichnete ihn als außergewöhnlich engagiert. Ähnlich äußerte sich der Pastor einer christlichen afrikanischen Gemeinde auf dem Wiesbadener Kohlheck. Er hätte jeden Sonntag nicht nur den Gottesdienst besucht, sondern sich auch im Anschluss überdurchschnittlich in der Gemeinde engagiert.

Wir waren gerade dabei ihm einen Deutschkurs in Vollzeit und einen Minijob zu vermitteln, da wurde ihm Anfang September die Arbeitserlaubnis entzogen und die Duldungspapiere nur noch befristet für einen Monat verlängert. Im Gegensatz zu den meisten von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen hat er sich dennoch nicht der Abschiebung durch Untertauchen oder Krankschreibung entzogen. Er hat auch weiterhin alle von den Behörden vorgegebenen Termine pünktlich wahrgenommen.

Am Freitag, den 19. Oktober erfuhren wir schließlich via Facebook Messenger, dass er am Mittwoch, den 17. Oktober von der Polizei abgeholt, zum Flughafen gebracht und nach Italien ausgeflogen wurdeGenau gesagt nach Brescia (bei Mailand). Er lebte dort die ersten Nächte auf der Straße. Denn die italienischen Behörden, die bereits im Juli vom BAMF angeschrieben wurden, wollen ihn nicht haben. Sie haben auch auf die Anfrage aus Deutschland nicht reagiert, was laut Rechtsanwalt und Caritas mittlerweile üblich ist. Die BRD bzw. das BAMF bewertet unbeantwortete Anfragen an die dortigen Behörden als „Zusage“, dass man ihn in Italien aufnimmt. In Wirklichkeit, auch gerade bei der neuen Regierung, will man keine Flüchtlinge zurückhaben und lässt sie auf der Straße leben. Beim anstehenden Winter muss man Niemand erläutern, was das bedeutet.

Nach drei Nächten auf der Straße lernte er einen in der Nähe von Brescia lebenden Nigerianer kennen, der ihn seitdem bei sich schlafen lässt. Dieser möchte nun allerdings finanzielle Mittel für Kost und Logie erhalten. Auch benötigt Seun Winterkleidung. Zusammengerechnet sind es mindestens 300 Euro pro Monat, die er fürs tägliche Leben benötigt. Eher mehr.

Wir haben uns daher beim TTC Biebrich entschieden für ihn zu sammeln. Dazu haben wir ein PayPal-Sammelkonto (Money Pool) eingerichtet. Bereits nach kurzer Zeit ist hier eine kleine stattliche Summe zusammengekommen, die ein guter Anfang ist. Wir bitten nun auch in der Öffentlichkeit um Aufmerksamkeit für dieses Einzelschicksal und jeden noch so kleinen Beitrag. Unter https://www.paypal.com/pools/c/88SCYQtZWQ kann auch ohne eigenes Paypal-Konto via Kreditkarte gespendet werden. Natürlich freuen wir uns auch über Bargeld.

Wir haben seit Jahrzehnten einen hohen Anteil an Sportlern mit Migrationshintergrund im Verein. Unter anderem durch den Sport sind viele von Ihnen ein wichtiger Teil der Gesellschaft geworden (u.a. Polizisten und Lehrer). Wir kennen aber auch viele Fälle, die nur Ihren persönlichen Nutzen aus dem Verein ziehen wollten und für die Integration ein Fremdwort war/ist. Wir würden uns daher kaum für den jungen Mann so stark machen, wenn wir nicht wüssten, was er für ein Typ ist: Er will sich in Deutschland integrieren, leben und arbeiten. Er ist der Typ Flüchtling, den dieses Land braucht.

Unser Ziel ist es natürlich nicht ihn dauerhaft finanziell in Italien zu unterstützen, sondern seine Wiedereinreise nach Deutschland zu ermöglichenFerner möchten wir ihm helfen die deutsche Sprache zu erlernen und einen Ausbildungsplatz zu finden. Denn so darf er auch dauerhaft in Deutschland bleiben und ein Mitglied der Gesellschaft werden. 

Hierzu haben wir auch bereits die Politik (Kommune, Landtag und sogar Bundestag) kontaktiert. Die Reaktionen sind trotz dieses Einzelschicksals überwältigend. Leider bisher aber mit wenig Erfolg. Aktuell hat er ein Einreiseverbot in die BRD. Allerdings haben wir immer noch Hoffnung „auf ein gutes Ende“. Die nächsten Wochen werden dies zeigen.

Hintergrund ist, dass uns ein logischer Verfahrensfehler des BAMF aufgefallen ist. Seun Adeleye ist, wie erwähnt, zunächst mit einem Touristenvisum per Flugzeug in die EU (Rom) eingereist. Er hat also auf legalem Wege die Grenze überschritten (nicht als „normaler“ Flüchtling). Er hat daher auch in Italien bzw. der EU nicht gleich um Asyl gebeten. Ohne das Visum hätte er am Flughafen auch gar nicht erst auf legalem Wege einreisen können. Das Visum wurde ihm erst in Düsseldorf von den Drogenhändlern abgenommen. Der Anwendungsbereich des durch die EU-Verordnung geregelten Dublin-Verfahrens erstreckt sich aber auf alle Flüchtlinge, die sofort um internationalen Schutz ersuchen. Das war bei ihm nicht der Fall. Dieser Fall trat erst in Deutschland ein. Das hat das BAMF bei der Beschlussfassung vermutlich gar nicht so bedacht bzw. verstanden. Nach unserer Auffassung liegt daher ein Verfahrensfehler vor. Für sein Asylverfahren ist die BRD und nicht Italien zuständig. Nach unserem Rechtsverständnis müsste er daher in die BRD wieder einreisen dürfen. Über seine Klage aus dem Juli wurde, wie erwähnt, noch immer nicht entschieden.

Dieses Einzelschicksal zeigt uns auch, dass die bestehenden Gesetze und Verordnungen nicht die sinnvolle Realität wiederspiegeln. Gerade die EU-Verordnung Dublin III wurde im Jahre 2013 beschlossen, also VOR der großen Flüchtlingswelle 2015/16. Aufgrund dieses nicht mehr zeitgemäßen „EU-Deals“, bei dem auch viele finanzielle Mittel an südeuropäische Staaten geflossen ist, beharren die deutschen Behörden auf einer Zuständigkeit seines Asylverfahrens in Italien. Die dortigen Behörden wollen ihn aber nicht, sind überlastet und überlassen ihn wie auch viele andere Flüchtlinge sich selbst. Die Menschen leben auf der Straße. Sicherlich ist dies auch einer der Gründe für die politische Lage in Italien („Rechtsruck“).

Zum Abschluss ein persönliches Wort: 

Man kann es gut oder schlecht finden, was wir hier versuchen zu bewegen. Vielleicht empfindet man es auch als sinnlos oder vergeudete Zeit. Das steht jedem frei. Für den TTC Rot-Weiß 1921 Biebrich e.V. gehört allerdings Integration zum normalen Vereinsleben wie auch der sportliche Wettbewerb. Es ist nicht nur ein kurzzeitiges vielleicht sogar medienwirksames Projekt. Sie wird tagtäglich gelebt und ist daher auch für uns nicht besonders erwähnenswert. Integration zählt zu unseren Grundwerten. Daher sehen wir es als unsere Aufgabe Menschen und Sportler wie Seun Adeleye soweit es in unserer Macht steht zu unterstützen. Die bisherige Resonanz bestärkt uns nur umso mehr in unserem Tun. Wir hoffen, dass dies auch irgendwann zum Erfolg führt.

Im Namen aller Mitglieder und des Vorstandes des TTC Rot-Weiß 1921 Biebrich e.V.

Marc Köhler (1.Vorsitzender)